2.4 Szintigrafische Diagnostik von Skelett- und Gelenkerkrankungen

Allgemeine Vorbemerkungen

In der Diagnostik von Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates stellt die Skelettszintigrafie einen wesentlichen Baustein dar. Sie ist eine hochsensitive, aber nicht spezifische Methode. Ihre Interpretation setzt die Kenntnis der klinischen und radiologischen Befunde voraus. Die Szintigrafie ist keine Alternative zum Röntgen der betroffenen Gelenke!

Die Dreiphasenszintigrafie ist die genaueste, aber auch aufwendigste Methode zur szintigrafischen Abklärung von Skeletterkrankungen. Nach intravenöser Applikation einer Dosis von 370 bis 600 Mbq (bei Kindern 5 - 7 Mbq/ kg KG) Tc-99m markierter Diphosphonate wird direkt nach Injektion die Perfusion des oder der abklärungsbedürftigen Gelenke szintigrafisch dargestellt. 2 bis 5 min nach der Injektion bilden sich die Weichteile szintigrafisch gut ab. 2 bis 4 h nach Injektion ist der optimale Zeitpunkt für die Knochenphase. Die gesteigerte Aktivitätsbelegung von Knochenabschnitten zeigt in der Perfusionsphase die Hyperämie, in der Weichteilphase zusätzlich die erhöhte Permeabilität der Gefäßwände und in der Spätphase einen erhöhten KnochenUmbau an.
Zur Abklärung eitriger Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates werden in speziellen Fällen Technetium-markierte Nanokolloide verwendet oder Leukozyten-Szintigrafien durchgeführt.

Technik der Interpretation

In der Regel reicht eine visuelle Interpretation des Aktivitätsverteilungsmusters aus. Nur bei den Kreuzdarmbeingelenken ist eine Quantifizierung der Aktivitätsbelegung und die Erstellung einer Relation zu der Aktivität des mittleren Os sacrum unerläßlich (region-of-interest-Technik; Normwert bis 1,45). Bei rheumatologischen Fragestellungen empfiehlt sich die Darstellung der Gelenke in Einzelbildtechnik mit ausreichend hoher Impulszahl. Eine Ganzkörperszintigrafie ist zur Beurteilung der Finger-, Zehen-, Hand- und Fußgelenke ungeeignet. Ähnlich wie in der Radiologie gilt der Grundsatz, daß paarige Gelenke paarig dargestellt werden müssen.

Bildbeeinflussende Faktoren

Die Patienten sollten sich am Tage der Untersuchung nicht körperlich belastet haben. Auch balneophysikalische Therapien oder krankengymnastische Übungen beeinflussen das Verteilungsmuster der Aktivität. Die Patienten sollten ausreichend trinken (mindestens 1 1), weil dadurch das Radionuklid rascher aus den Weichteilen abtransportiert wird und die knöchernen Strukturen besser beurteilbar sind. Die Einnahme von Medikamenten, besonders von Prednisolonderivaten, kann die Aktivitätsbelegung entzündeter Gelenke reduzieren.

Indikationen

Die Skelettszintigrafie ist indiziert zur Abklärung regionaler Funktionsstörungen des Skelettes und der Weichteile, die durch entzündliche Veränderungen, Stoffwechselerkrankungen oder Endokrinopathien bedingt sind. Je nach Krankheitsbild eignet sich die Szintigrafie auch zur Beurteilung von Verläufen; Voraussetzung sind exakt vergleichbare Aufnahmeparameter. Bei der Frage nach chronischen Polyarthritiden sollten nicht nur die schmerzhaften Gelenke, sondern generell auch Hände und Füße, bei Verdacht auf seronegative Spondarthritiden die Kreuzdarmbeingelenke mit dargestellt werden. Die Szintigrafie kann auch bei klinisch asymptomatischen Gelenken entzündlich bedingte Mehrbelegungen anzeigen. Sie trägt damit zur besseren Kenntnis des Verteilungsmusters der befallenen Gelenke und zur Spezifizierung der Diagnose bei.

Für die einzelnen Indikationen gelten folgende Standards:

Chronisch-entzündliche Gelenkerkrankungen

Im Zweiphasenszintigramm sollte die Weichteilphase über maximal zwei der am stärksten betroffenen Gelenke dargestellt werden, die Knochenphase entsprechend dem Verteilungsmuster der Erkrankung (s.o.). In der Weichteilphase zeigt einerseits die Hyperämie, andererseits die verstärkte Permeabilität der Gefäßwände die Synovialitis an, während in der Spätphase die ossäre Mitbeteiligung dargestellt wird.

Differenzierung zwischen aktivierten primären und entzündungsbedingten sekundären Arthrosen

Eine unterschiedliche Speicherung in den zwei Phasen einerseits, ein unterschiedliches Aktivitätsbelegungsmuster gegenüber dem Verteilungsmuster der Arthrosen im Röntgenbild kann wichtige Hinweise zur Differentialdiagnostik liefern. Wenn im Weichteilszintigramm eine pathologische Mehrbelegung, im Knochenszintigramm aber keine Aktivitätsmehrbelegung vorliegt, ist dies ein Hinweis auf eine Synovialitis ohne ossäre Umbauvorgänge. Wenn in einer oder beiden Phasen der szintigrafischen Untersuchung eine Aktivitätsbelegung, im Röntgenbild aber keine arthrotische Deformierung besteht, ist dies ebenfalls ein Hinweis auf eine Gelenkentzündung. Ist das Speicherungsmuster im Szintigramm und das Verteilungsmuster der Arthrosen im Röntgenbild deckungsgleich, kann eine Differenzierung der unterschiedlichen Erkrankungen nicht erfolgen.

Knochennekrosen (Hüftkopfnekrose, Morbus Perthes u.a.)

Hier ist unbedingt eine Dreiphasenszintigrafie notwendig. In der Frühphase besteht ein typischer Perfusionsausfall.

Transitorische, regionale Osteoporose, Algoneurodystrophie

Es trifft ebenfalls die Forderung nach einer Dreiphasenszintigrafie zu. Bei der Algodystrophie (M. Sudeck) ist in allen drei Phasen eine pathologisch gesteigerte Aktivitätsbelegung zu diagnostizieren, während dies bei der transitorischen Osteoporose nicht der Fall ist.

Entzündliche Knochen- und Wirbelprozesse

Zur Abklärung einer Osteomyelitis empfiehlt sich die Dreiphasenszintigrafie, bei Verdacht auf Spondylodiszitis reicht in der Regel eine Zweiphasenszintigrafie mit Technetium99m Diphosphonat aus. Zur Abklärung von Weichteilinfekten oder unklaren bakteriellen Entzündungsherden kann zusätzlich ein Leukozyten- oder ein Nanokolloidszintigramm notwendig werden.

Akquiriertes Hyperostose-Syndrom (SAPHO-Syndrom)

Neben dem Zweiphasenszintigramm der klinisch betroffenen Regionen werden, sollten immer die Sternoklavikulargelenke und die Sternokostalgelenke in gleicher Technik mituntersucht werden, die für diese Erkrankung Prädilektionsgelenke darstellen.

Lockerung von Endoprothesen

Bei zementierten Modellen kann nach Abschluß der postoperativen Umbauvorgänge (mindestens 6 Monate postoperativ) das Ausmaß und das Verteilungsmuster pathologischer Aktivitätsmehrbelegungen in der Dreiphasenszintigrafie Hinweise auf eine mögliche Prothesenlockerung geben. Bei zementfreien Endoprothesen haben sich bisher keine sicheren Kriterien zum Nachweis einer Lockerung finden lassen. Zusätzliche Informationen zu klinischen und radiologischen Befunden sind hierbei nur über eine Verlaufsbeobachtung zu erzielen.

Streßfrakturen

Ein Knochenszintigramm ist ausreichend. Es müssen die entsprechenden Zeitabstände nach einem möglichen Frakturereignis eingehalten werden, die für die distalen Gelenke mindestens 3, am Stamm und an den proximalen Extremitätengelenken 10 bis 12 Tage betragen, weil sonst bei fehlender Mehrbelegung eine Fraktur nicht ausgeschlossen werden kann.

Extraskelettale Verkalkungs- bzw. Verknöcherungsprozesse

Besonders bei Myositis ossificans kann die Dreiphasenszintigrafie sehr frühe Informationen über Verknöcherungsvorgänge geben. Speicherungen in der Perfusions- und Weichteilphase finden sich allerdings nur bei aktiven Vorgängen. Eine inaktive Myositis ossificans speichert nur in der Knochenphase.

Enthesopathien

Die Perfusions- und Weichteilphase zeigt eine entzündliche Komponente an. Inaktive Tendoostosen speichern je nach Ausprägung in der Knochenphase.

Tumoren

Eine vermehrte Speicherung ist nur bei gesteigerter Osteoblastentätigkeit in Form eines Herdbefundes festzustellen. Die Differenzierung in benigne und maligne Prozesse ist anhand der Herdaktivität nicht ausreichend sicher möglich. Benigne Prozesse wie Osteoidosteome, fibröse Dysplasien oder M. Paget, aber auch Malignome, wie z. B. Osteosarkome oder sklerosierende Metastasen, speichern in den betroffenen Skelettabschnitten stark. Dagegen weisen rein osteolytische Metastasen oder Plasmozytome keine Mehrbelegung auf und zeigen in Extremfällen sogar "cool spots". Zum Nachweis szintig   rafischer Mehrbelegungen ist eine Ganzkörperskelettszintigrafie, evtl. ergänzt um Einzelbildaufnahmen betroffener Regionen, ausreichend.

Literatur

  1. Ausschuß der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin (Hrsg) (1994) Nuklearmedizinische In vivo-Untersuchungen: Klinische Qualitätskontrollen. 2. Empfehlung. Schattauer. Stuttgart.
  2. Büll U, Schicha H, Biersack HJ, KnappWH, Reiners C, Schober 0 Hrsg (1994) Nuklearmedizin. Thieme, Stuttgart
  3. Dihlmann W (1993) Akquiriertes Hyperostose-Syndrom (sog. pustulöse Arthro-osteitis). Literaturübersicht einschließlich 73 eigener Beobachtungen. Wien klin Wschr 105: 127 - 138
  4. Feine U, Müller-Schaufenburg W (Hrsg) (1989) Skelettszintigrafie: Knochendiagnostik mit neuen Verfahren. Wachholz, Nürnberg