3.10 Systemischer Lupus erythematodes

Definition

Der systemische Lupus erythematodes ist eine chronisch-entzündliche systemische Autoimmunerkrankung, die häufig die Haut, die Gelenke, die Nieren, das Nervensystem, die serösen Häute und andere Organe des menschlichen Körpers betrifft.

Klassifikationskriterien

Als Klassifikationskriterien für den systemischen Lupus erythematodes (SLE) sind weltweit die Kriterien der American Rheumatism Association (jetzt: American College of Rheumatology) von 1982 anerkannt (s.u.; 8).
Voraussetzung für die Klassifikation einer Erkrankung als systemischer Lupus erythematodes ist, daß vier oder mehr der elf Kriterien erfüllt sind, entweder gleichzeitig oder auch im Längsschnittverlauf über einen nicht definierten Zeitraum.

Zusätzlich wichtige diagnostische Krankheitssymptome

Im Vollbild der Erkrankung erlauben die ARA-Kriterien von 1982 eine sichere Diagnose mit einer Sensitivität von 83 % und einer Spezifität von 89 % gegenüber anderen systemischen Autoimmunerkrankungen (3). Die Schwierigkeiten der Diagnostik ergeben sich vor allem zu Beginn der Erkrankung, wo nur etwa 70 % der Patienten die Klassifikations-Kriterien erfüllen (5).
Das Krankheitsbild ist initial nicht selten durch eine ausgeprägte Allgemeinsymptomatik mit Fieber, Müdigkeit und Abgeschlagenheit gekennzeichnet. 30 % der Patienten haben Lymphadenopathien, vor allen Dingen im zervikalen Bereich. Überwiegend sind junge Frauen im gebärfähigen Alter von dieser Erkrankung betroffen, diskreter Hinweis auf einen SLE ist der Beginn der Symptomatik im Anschluß an eine Schwangerschaft oder an die Einnahme von oralen Antikonzeptiva. Das Raynaud-Phänomen mit einer zweiphasigen Farbreaktion sowie die Alopezie, definiert als rascher Verlust größerer Anteile der Kopfbehaarung, gehörten 1971 noch zu den Klassifikationskriteiren.
Von den laborchemischen Befunden sind in den ARA-Kriterien von 1982 die Antikörper gegen extrahierbare nukleäre Antigene Ro (SSA) und La (SSB) nicht berücksichtigt. Sie haben eine Sensitivität von etwa 30 - 35 %, sind


Klassifikationskriterien der ARA von 1982 für den systemischen Lupus erythematodes
 
1
Schmetterlingserythem: 
fixiertes Erythem, flach oder erhaben im Bereich der Wangen, meist unter Aussparung der nasolabialen Falten.
2
Discoide Haut veränderungen:
erythematöse, erhabene Hautflecken mit  adhärenten keratotischen Anteilen und follikulärem Verschluß; atrophische Narben können in älteren Läsionen auftreten.
3
Photosensitivität: 
Hautrötungen, die infolge einer ungewöhnlichen Reaktion auf Sonnenlicht auftreten - vom Patienten anamnestisch angegeben 
4
Orale Ulzerationen:
orale oder nasopharyngeale Ulkusbildungen, gewöhnlich schmerzlos - festgestellt durch einen Arzt.
5
Arthritis:
Nicht-erosive Arthritis mit dem Befall von zwei oder mehr peripheren Gelenken, charakterisiert durch Steifigkeit, Schwellung oder Gelenkerguß.
6
Serositis:
  1. Pleuritis - typische Anamnese für einen Pleuraschmerz oder ein Reiben, das auskultatorisch durch einen Arzt festgestellt wird, oder Nachweis eines Pleuraergusses, oder
  2. Perikarditis - gesichert durch ein EKG oder durch ein Reibegeräusch oder durch den Nachweis eines perikardialen Ergusses.
7
Nierenerkrankung:
  1. persistierende Proteinurie von mehr als 0,5 g/Tag oder größer als 3 +, wenn eine Quantifizierung nicht durchgeführt wird, oder 
  2. zelluläre Zylinder, Erythrozyten-, Hämoglobin-, granuläre, tubuläre oder gemischte Zylinder. 
8
Neurologische Erkrankung:
  1. Krampfanfälle - Ausschluß einer medikamentösen Induktion oder einer metabolischen Stoffwechselstörung; z.B. Urämie, Ketoazidose oder Elektrolytentgleisung oder 
  2. Psychose - ohne offensichtliche Medikamenteninduktion und Ausschluß einer metabolischen Stoffwechselstörung, z.B. Urämie, Ketoazidose oder Elektrolytstörungen. 
9
Hämatologische Erkrankung:
  1. hämolytische Anämie - mit Retikulozytose oder 
  2. Leukopenie - weniger als 4.000 Leukozyten/µl - zwei oder mehrmaliger Nachweis oder 
  3. Lymphopenie -weniger als l.500/µl bei zwei oder mehr Untersuchungen oder 
  4. Thrombozytopenie -weniger als 100.000/µl ohne die Einnahme eines möglicherweise ursächlichen Medikamentes. 
10
Immunologische Erkrankung:
  1. positiver LE-Zell-Test oder 
  2. Anti-DNS: AK gegen native ds-DNS in einem erhöhten titer oder 
  3. Anti-Sm: Nachweis von AK gegen Sm-Antigene oder 
  4. falsch positiver serologischer Test für Syphilisa, positiv für mehr als sechs Monate, gesichert über einen Treponema-pallidum-Immobilisationstest oder über Fluoreszenz-Treponema AK-Absorptionsstest. 
11
Antinukleäre Antikörper:
Nachweis eines erhöhten antinukleären-Antikörper-Titers in der Immunfluoreszenz oder einem gleichwertigen Test zu einem bestimmten Zeitpunkt, ohne Zusammenhang zu einem Medikament, das mit einem sogenannten medikamentös induzierten Lupussyndrom assoziiert sein kann.
  1. Mittlerweile ist bekannt, daß die falsch positive Syphilisreaktion bei LE-Patienten auf Anti-Phospholipid-AK zurückzuführen ist. Die Sensitivität spezifischer Tests (ELISA) auf Antiphospholipid-Antikörper ist höher als die der Syphilis-Tests. Ihr Nachweis sollte als gleichwertig spezifisch gelten.


jedoch wegen ihres Vorkommens auch beim Sjögren-Syndrom weniger spezifisch als Krankheitsmarker. Kinder von Patientinnen mit anti-Ro- bzw. anti-La-Antikörpern können in utero Veränderungen des Reizleitungssystems entwickeln, die zu einem kongenitalen Herzblock führen können (in etwa 5 - 10 % der Kinder Ro-positiver Mütter). Während solcher Schwangerschaften und perinatal ist daher eine sorgfältige kardiologische Überwachung angezeigt.
Es sind zahlreiche andere Autoantikörper beim SLE beschrieben, die selten solitär auftreten und daher für die Diagnose nur eine geringe Bedeutung haben. Ein Komplementmangel, gemessen an CH 50 oder einem C3- oder C4- Abfall, hat eine Sensitivität von etwa 60 - 70 % und eine Spezifität von etwa 70 - 80 % und ist daher für die Diagnostik ebenfalls hilfreich. Sensitivster Parameter ist der Nachweis von antinukleären Antikörpern in 99 %, das bedeutet, daß ein aktiver systemischer Lupus erythematodes bei fehlendem Nachweis von antinukleären Antikörpern nahezu ausgeschlossen werden kann. Da der Nachweis von antinukleären Antikörpern mit zunehmendem Alter häufiger wird (bis zu 15 % in der Normalbevölkerung oberhalb des 65. Lebensjahres), läßt sich mit antinukleären Antikörpern jedoch kein sicherer Beweis für eine systemische Autoimmunerkrankung führen.
Nur in seltenen Fällen sind Hautbiopsien mit Ablagerungen von C4-Komplement und IgA an der dermalen/epidermalen Grenze für die Diagnostik notwendig. Ein Lupusbandtest kann auch bei anderen systemischen Autoimmunerkrankungen positiv sein.
 
WHO-Klassifikation der Lupus-Nephritis (6) 
    Normalbefund 
    Mesangiale Glomerulonephritis 
    Membranöse Glomerulonephritis 
    Fokal proliferierende Glomerulonephritis 
    Diffus proliferierende Glomerulonephritis 
    Chronisch skerosierende Glomerulonephritis 

Für die Beurteilung der im Rahmen eines systemischen Lupus erythematodes auftretenden Glomerulonephritis kann eine histologische Sicherung hilfreich sein, da zwischen fünf verschiedenen Typen nach der WHO-Klassifikation (4) unterschieden werden kann. Ihre differentialdiagnostische Abklärung ist vor allen Dingen therapeutisch/prognostisch von Bedeutung.
Bei der sehr heterogenen Ausprägung des SLE ist die frühzeitige Erfassung von Organmanifestationen wesentlicher Bestandteil sowohl der primären Diagnostik als auch der Aktivitätsbeurteilung im Verlauf: Als ausgeprägte Aktivitätszeichen müssen eine aktive Glomerulonephritis (s.o.), eine Beteiligung des ZNS (z. B. Infarkt, Epilepsie, Psychose u. a.) und eine Myokarditis angesehen werden. Wesentlich von der Ausprägung hängt die Aktivitätseinschätzung ab bei Hautmanifestationen (z. B. diskretes Schmetterlingserythem --> Vaskulitis, Serositis (z. B. atemabhängiger Schmerz --> Perikardtamponade) und Verminderung von Blutzellen (z.B. grenzwertiger Laborbefund --> Blutung). Arthralgien und Arthritiden sind als milde Aktivitätsparameter anzusehen, können aber Vorboten einer allgemeinen Krankheitsaktivierung sein. Nur im individuellen Verlauf kann die Krankheitsaktivität an Laborparametern wie Komplementverbrauch oder anti-ds-DNA-Antikörpertiter abschätzbar sein.
Klinische und laborchemische Befunde einer Krankheitsaktivität wurden für eine allgemein gültige Analyse in verschiedenen Aktivitätsindices - z. B. SLE DAI (2), SLAM (3), BILAG (7) und EuGG (1) - zusammengefaßt, die zwar z. T. eine unterschiedliche Wichtung einzelner Parameter haben, aber in verschiedenen Untersuchungen eine relativ gute Vergleichbarkeit in bezug auf die Aktivitätsbeurteilung des SLE zeigten.

Differentialdiagnose

Der SLE ist gegenüber anderen systemischen Autoimmunerkrankungen abzugrenzen. Dies sind insbesondere die progressive systemische Sklerose (siehe 3.11), die Polymyositis, die Rheumatoide Arthritis, die Mischkollagenose (Mixed Connective Tissue Disease) und das primäre Antiphospholipid-Syndrom.
Arthralgien und besonders eine Arthritis der kleinen Fingergelenke sind häufig ein frühes klinisches Erscheinungsbild des SLE. Vom Muster der Gelenkbeteiligung und vom Lokalbefund ist eine Unterscheidung zur Rheumatoiden Arthritis nicht möglich, doch fehlen nicht selten typische Nachtschmerzen und eine Morgensteifigkeit sowie Erosionen bei der SLE-assoziierten Arthritis. Serologisch kann der Nachweis von anti-ds-DNA-Antikörpern in der differentialdiagnostischen Überlegung hilfreich sein, Rheumafaktoren und antinukleäre Antikörper können bei beiden Krankheitsentitäten auch im frühen Krankheitsstadium auftreten. Die Gelenkbeteiligung beim SLE geht in der Regel nicht mit Gelenkdestruktionen einher, typisch sind jedoch Subluxationen, z. T. mit einer auffallenden Z-Deformität im Daumenbereich.
In der Differentialdiagnose gegenüber der progressiven systemischen Sklerose ist besonders die akrale Verlaufsform häufig schwierig abzugrenzen. Bei beiden Krankheitsbildern ist ein ausgeprägtes Raynaud-Syndrom, vor allem in der Frühphase, charakteristisch. Bei einer manifesten progressiven systemischen Sklerose sind vor allem jedoch die Veränderungen im Bereich der Akren mit einer Sklerodaktylie und sich entwickelnden "Rattenbißnekrose" differentialdiagnostisch hilfreich, wobei zusätzlich immunserologische Befunde, so z. B. der Nachweis von anti-zentromeren Antikörpern, differentialdiagnostische Überlegungen unterstützen. Radiologische Veränderungen im Sinne einer typischen Sklerodermie sind bei dieser Erkrankung allenfalls im weiteren Verlauf nachweisbar, so daß sie in der Primärdiagnostik keine Bedeutung haben.
Häufig schwierig ist die Abgrenzung des SLE von der sog. Mischkollagenose. In dieser Situation hilft die Immunserologie. Patienten mit einer Mischkollagenose weisen hochtitrige Antikörper gegen nRNP auf, im Gegensatz zu Patienten mit SLE, die - wenn überhaupt - diesen Antikörper nur in geringen Titern aufzeigen, und zusätzlich durch den Nachweis von anti-Sm- und anti-ds-DNA-Antikörpern immunserologisch zu klassifizieren sind. Da es klinische und serologische Überlappungen zwischen unterschiedlichen Kollagenosen gibt, ist eine primäre Differenzierung nicht immer möglich.
Die Differentialdiagnose gegenüber der Polymyositis ist in der Regel über muskuläre entzündliche Symptome möglich, die bei diesem Krankheitsbild im Vordergrund stehen. Leichtere Formen einer Muskelentzündung können auch beim SLE auftreten. In diesen Fällen ist es in der Regel möglich, anhand anderer klinischer Manifestationen des SLE die Diagnose zu sichern.
SLE-Patienten mit positivem Syphilis-Test (Nachweis von AntiphospholipidAntikörpern) können ein Krankheitsbild entwickeln, das durch rezidivierende Aborte, arterielle und venöse Thrombosen und zerebrale Insulte gekennzeichnet ist. Dieses Krankheitsbild wird ohne Nachweis/Sicherung eines SLE als primäres Antiphospholipid-Syndrom bezeichnet. Die Diagnose ist dann erlaubt, wenn sich weder klinisch noch laborchemisch weitere Hinweise auf einen SLE finden.

Literatur

  1. Bencivelli W, Vitelli C, Isenberg DA, Smolen JS, Snaith ML, Sciuto M, Bombardieri S (1992) European consensus group for disease activity criteria in systemic lupus erythematosus. Clin Exp Rheumatol 10: 549 - 554
  2. Bombardier C, Gladman DD, Urowitz MB, Caron D, Chang DH and the Committee on Prognosis Studies in SLE (1992) Derivation of the SLEDAI. Arthritis Rheum 35: 630 - 640
  3. Fries JF (1987) Methodology of validation of criteria for SLE. Scand J Rheumatol 65: 25 - 30
  4. Gladman DD, Urowitz MB, Colwe E, Ritchie S, Chang CH, Churg J (1989) Kidney biopsy in SLE 1. A clinical-morphological evaluation. Quart J Med 73: 1125 - 1153
  5. Levin RE, Weinstein A, Peterson M, Testa MA, Rothfield NF (1984) A comparison of the sensitivity of the 1971 and 1982 American Rheumatism Association criteria for the classification of systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum 27: 530 - 538
  6. Liang MH, Socher S, Larson MG, Schur PH (1989) Reliability and validity of six systems for the clinical assessment of disease activity in systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum 32: 1107 - 1118
  7. Symmons DPM, Coppock JS, Bacon PA, Bresnihan B, Isenberg DA, Maddison P, McHugh N, Snaith ML, Zoma AA (1988) Development and assessment of a computerized index of clinical disease activity in systemic lupus erythematosus. Quart J Med 69: 927 - 937
  8. Tan EM, Cohen AS, Fries JF, Masi AT, McShane DJ, Rothfield NF, Schaller JG, Talal N, Winchester RJ (1982) The 1982 revised criteria for the classification of systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum 25: 1271-1277